Der Amazonas
10. Juni 2019 (Eintrag für 8.-10. Juni)
Als ich in Leticia ankam, konnte ich es nicht glauben, dass ich es zum Amazonas geschafft habe. Es fühlte sich so surreal an. Vom Flugzeug aus hatte ich die unendliche Grüne und einige Flüsse sowie den Amazonas selbst gesehen. Was für ein Anblick!
Der Flughafen ist total winzig. Ein einzelnes Gepäckförderband scheint endlos zu laufen. Bevor man den Flughafen verlassen darf, muss man eine Touristensteuer in Höhe von COP $35,000 bezahlen. Es scheint als wäre die einzige Sicherheitsvorkehrung am Flughafen zwei Beamte am Ausgang. Man zeigt ihnen den Beleg für die bezahlte Touristensteuer und das war’s.
Ich ging zu Fuß vom Flughafen zum Hostel. Ich brauchte eine halbe Stunde für die 2km; sowohl die feuchte Hitze als auch meine 20kg Gepäck bremsten mich ab. Die Sonne ging schon unter, also versuchte ich keine Zeit zu verschwenden und zum Hostel zu gelangen bevor es dunkel wurde. Ich kam nur wenige Minuten bevor die Dunkelheit einbrach an. Obwohl ich ein Bett im 8-Bett-Zimmer gebucht hatte, bekam ich eines im 4-Bett-Zimmer, das ich beide Nächte mit nur je einer anderen Person teilen musste. Ich legte meine Sachen im Zimmer ab und ging in den Gemeinschaftsbereich in der Hoffnung jemanden zu finden, der auch ein langsames Boot nach Iquitos nehmen wollte. Ich hatte kein Glück und zog mich ins Zimmer zurück, wo ich nach ein paar Stunden lesen gegen 22 Uhr einschlief. Es war eine ruhelose Nacht.
Ich stand am nächsten Morgen früh auf, machte mir Rührei zum Frühstück, dazu gab es Semmeln und etwas Obst, und dann versuchte ich mehr über das langsame Boot herauszufinden, dass ich am nächsten Tag nehmen wollte. Ich konnte nicht mehr herausfinden als ich eh schon wusste (erst recht, weil das Internet so extrem langsam war und es auch keine offiziellen Fahrpläne oder ähnliches gibt. Also machte ich mir fertig um Leticia ein wenig zu erkunden. Ich ging eine Stunde lang durch das „Stadtzentrum“ bevor ich dort hin ging, wo ich dachte, dass das langsame Boot ablegen würde. In dieser Gegend waren nicht sehr viele Menschen und als ich sah, dass der Bereich wo ich hin wollte eingezäunt war, drehte ich um, um wieder zurück zu der geschäftigeren (und dadurch sichereren) Gegend zurück zu kehren. Auf meinem Weg zurück bog ich in eine Seitenstraße ab, da ich ein Foto vom Amazonas (beziehungsweise einem winzigen Seitenarm dessen, wie ich später feststellte) und dem „Slum“ im Vordergrund machen wollte. (Ich bin mir nicht sicher, ob es sich wirklich um ein Slum handelt und hoffe, dass ich niemandem mit meiner Wortwahl zu nahe trete.) Ich hatte keinerlei Absicht dort hinunter zu gehen, aber als ich dort stand, um ein Foto zu machen, kam eine Frau den Weg herauf, Tupperdose mit selbstgemachtem Kuchen unter dem Arm. Sie sagte mir, ich solle zu meiner eigenen Sicherheit meine Kamera wegpacken. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich nicht dort hinunter gehen wolle, sondern nur ein Foto machen und dann umkehren wolle. Sie sagte tschüss und machte sich wieder auf ihren Weg. Nachdem ich ein paar Fotos gemacht hatte, kehrte ich um und ging wieder dahin zurück, wo ich herkam. Nicht sehr weit vor mir sah ich die Frau in dieselbe Richtung wie ich gehen. (Sie stellte sich später als Guiovana vor.) Sie sah mich, blieb stehen und wartete bis ich mir ihr aufgeschlossen hatte. Sie sagte mir dann noch einmal, dass es gefährlich sei, mit der Kamera herumzugehen und dass mich jemand berauben könnte – mit vorgehaltener Pistole – wenn ich in dieser Gegend meine Kamera offen trage. Sie fuhr fort mit mir zu reden, also beschloss ich einfach mit ihr zu gehen. Ich war etwas skeptisch, was ihre Motivation sein könnte, aber wie es sich später herausstellte, handelte sie aus reinster Nächstenliebe.
Fast zwei Stunden ging sie mit mir durch die Stadt, zeigte mir verschiedene Dinge und sagte mir ich solle Fotos machen, wenn sie etwas Interessantes sah. Sie begegnete ein paar Leuten, die sie kannte und verkaufte ihnen Kuchen für COP $1,000 das Stück. Nachdem ich das gesehen hatte, dachte ich, ich würde ihr auch ein Stück abkaufen, wenn sich unsere Wege trennen – um „Danke“ zu sagen. Sie begleitete mich den ganzen Weg zurück bis zu meinem Hostel. Wir kamen an ein paar Restaurants vorbei und sie sagte mir, wo ich gutes Essen bekommen würde. Vor dem Hostel fragte sie mich dann, ob sie meine Email-Adresse haben könne, um in Kontakt zu bleiben und gab mir auch ihren vollen Namen. Sie bot mir nicht einmal an, Kuchen von ihr zu kaufen, sagte tschüss und ging. Ich kann gar nicht glauben, wie nett sie war.
Es war erst 14 Uhr, aber das Herumgehen in der schwülen Hitze hatte mich richtig müde gemacht und ausgelaugt. Deshalb setzte ich mich im Gemeinschaftsbereich hin, wo ich anfing mich mit zwei Holländern zu unterhalten. Die waren beide total nett und wir unterhielten uns für ne Weile bevor ich zum Supermarkt ging, um noch ein paar notwendige Artikel für meine Bootsreise am nächsten Tag zu kaufen. Ich hatte am Vormittag schon eine Hängematte und Seil gekauft, deswegen brauchte ich nur noch etwas Essen und Klopapier (da ich gelesen habe, dass man immer sein eigenes Klopapier mitbringen muss). Ich habe auch endlich herausgefunden, wo das Boot abfährt; es startet nicht in Leticia, sondern von Santa Rosa, was eine Insel mitten im Amazonas Fluss ist und Teil Perus ist. Ich war ein wenig entspannter nachdem ich ungefähr eine Ahnung hatte, wo das Boot sein würde, aber ich war immer noch sehr nervös über meine bevorstehende Reise. Fast niemand hier spricht eine Fremdsprache, nicht einmal die Polizei, und da mein Spanisch sehr beschränkt ist, ist es nie leicht zu kommunizieren.
Ich vergaß meine Probleme, als mich Robin fragte, ob ich Lust hätte mit ihm Karten zu spielen. Sein Freund, Skip, machte auch mit. Wir setzten uns auf den Balkon, unterhielten uns und spielten Karten bis es dunkel wurde. Dann gingen wir zu einem Restaurant, um was zu essen. Wir hatten alle unterschiedliche Fischgerichte und alles war sehr lecker und die Portionen riesig. Ich hatte einen Maracuja Saft mit Milch (ja, Milch. Das hat mich sehr glücklich gemacht, da ich meinen Saft gerne so trinke, aber Zuhause es jeder komisch findet.) Das Essen kostete mich nicht einmal €12, aber für Südamerikanische Standards war das sehr teuer. Es war es aber wert. Ich hatte eine schöne Zeit mit Robin und Skip und werde Robin eventuell sogar wieder treffen, wenn ich in Lima bin.
Ich hatte eine weitere ruhelose Nacht und stand wieder früh auf. Das Frühstück wurde an diesem Morgen von einem Mitarbeiter gekocht und nachdem ich gegessen hatte, packte ich meine Sachen, checkte aus dem Hostel aus, verabschiedete mich von Robin und Skip, und ging zum Bootanleger. Dort ging ich zur Migración, wo ich sehr lange anstehen musste, da vor mir eine große Gruppe (eventuell eine Schulklasse auf einem Ausflug) war. Aber ich hatte Glück, dass sich sowohl ein kolumbianischer Grenzbeamter als auch ein peruanischer Grenzbeamter in der Migración befanden, da das bedeutete, dass ich beide Stempel an der gleichen Stelle bekommen konnte. Als ich meine Stempel hatte, nahm ich für COP $4,000 ein Boot, dass mich über den Amazonas nach Santa Rosa brachte. Als das Boot den Anleger verließ und ich zum ersten Mal den Amazonas sah, war ich von Emotionen überwältigt und musste fast weinen. Manchmal kann ich nicht glauben, dass diese Reise echt ist. Die Dinge, die ich erlebe und zu sehen bekomme; Es ist total verrückt.